Unsere Fragen an Rechtsanwalt Christian Solmecke
Ab wann wird „Stänkern“ juristisch zu Mobbing?
In Deutschland gibt es kein Gesetz gegen Mobbing, vielmehr gelten die bereits vorhandenen Gesetze. Mobbing setzt sich damit aus vielen einzelnen Straftaten zusammen. Welche Straftatbestände in einem konkreten Fall erfüllt sein können, kann letztlich nur im Einzelfall und abhängig von den jeweiligen Verhaltensweisen bewertet werden. Üblicherweise einschlägig sind vor allem:
- Beleidigung, Verleumdung, Üble Nachrede: Häufig nutzen Täter soziale Medien oder private Kontaktmöglichkeiten via E-Mail oder Smartphone, um dritte Personen zu beleidigen oder bewusst Unwahrheiten über diese Personen zu verbreiten. Das öffentliche Verbreiten von Tatsachen, die eine Person verächtlich machen und nicht wahr sind, unterfällt oftmals dem Straftatbestand der Verleumdung (§ 187 Strafgesetzbuch, StGB) oder üblichen Nachrede (§ 186 StGB). Die Beleidigung einer Person ist nach § 185 StGB verboten.
- Verbreiten von Audio-Mitschnitten und Tonaufnahmen: Immer häufiger nutzen Personen Voice-Mails zur Kommunikation. Das privat gesprochene Wort darf aber grundsätzlich nicht veröffentlicht werden. Erhält man beispielsweise Tonaufnahmen per WhatsApp, dürfen diese nicht weiterverbreitet werden. Anderenfalls kann der Straftatbestand des § 201 StGB erfüllt sein.
- Körperverletzung: Die psychische Beeinträchtigung der Opfer von Mobbing kann immens hoch sein. Das Internet vergisst nicht: Inhalte sind oftmals schnell kopiert und können nicht immer einfach und abschließend aus dem Netz gelöscht werden. Sind verletzende Inhalte einer breiten Öffentlichkeit über einen langen Zeitraum zugänglich, kann sich eine massive Schädigung der psychischen und physischen Gesundheit ergeben. In diesen Fällen ist die Annahme einer Körperverletzung gemäß § 223 StGB nicht ausgeschlossen.
- Bedrohung, Nötigung und Erpressung: Nicht selten werden Opfer von Mobbing erheblich bedroht oder genötigt. Die Drohungen können dabei ganz unterschiedlichen Charakter aufweisen. Wer jemand anderen mit einem Verbrechen wie etwa einer schweren Körperverletzung oder einem Mord droht, kann sich wegen Bedrohung strafbar machen, § 241 StGB. Das Drohen bzw. das Fordern einer Gegenleistung, um negative Folgen abzuwenden, kann leicht die Straftatbestände der der Nötigung (§ 240 StGB) oder – wenn es z.B. um Geld geht – gar der Erpressung (§ 253 StGB) erfüllen.
- Stalking: Eines der größten Probleme der Opfer von Mobbing ist die Nachstellung bzw. Stalking. Täter terrorisieren ihre Opfer dabei meist über Telefon, Smartphone, E-Mail, SMS oder soziale Netzwerke. Dabei kontaktieren Täter ihre Opfer oftmals über Tage, Wochen oder Monate und beleidigen oder bedrohen eine Person in erheblichem Ausmaß. Besonders häufig sind hierbei Ex-Partner betroffen, die von ehemaligen Lebenspartnern kontaktiert werden. Täter verletzen dabei häufig § 238 StGB und erfüllen somit den Tatbestand der Nachstellung.
- Veröffentlichen privater Bilder: Besonders beeinträchtigend wirkt die Veröffentlichung intimer Fotos. In der heutigen Zeit machen viele Personen private oder intime Bilder voneinander. Vor allem nach dem Ende einer Beziehung kann dies zu Problemen führen. Die Veröffentlichung intimer Bilder fremder Personen, verstößt oftmals gegen § 201a StGB und gegen das Recht am eigenen Bild (§§ 22, 33 KUG). Dabei ist nicht nur das Veröffentlichen intimer (Nackt-)Fotos von dritten Personen tatbestandsrelevant. Ebenfalls einschlägig kann die heimliche Fotoaufnahme von Personen sein, die sich in gegen Einblicke besonders geschützten Räumen wie Umkleidekabinen befinden.
Welche Möglichkeiten gibt es, gegen Mobber vorzugehen? Es ist ja schwierig Beweise zu bringen.
Zunächst einmal sollten die Opfer zeitnah Anzeige bei der Staatsanwaltschaft oder Polizei erstatten. Bei manchen Delikten wie etwa der Beleidigung ist sogar ein Strafantrag nötig, die Behörden können ohne diesen überhaupt nicht tätig werden. Häufig agieren die Täter mit ihrem Klarnamen, weil sie sich sicher fühlen und meinen, das Opfer werde sich nicht wehren. Doch nicht immer sind die Täter aber leicht zu identifizieren. Gerade, wenn es – wie häufig – um Cybermobbing geht, können Ermittlungsbehörden versuchen, die IP-Adresse eines Täters von einem Diensteanbieter zu erhalten, um anhand der genutzten IP-Adresse die Identität des Nutzers feststellen zu können. Auch wenn dies aufgrund von Zeitablauf oder der Nutzung anonymer Profile nicht in allen Fällen erfolgreich sein wird, kann die Identifizierung zumindest versucht werden.
Es ist natürlich hilfreich, selbst schon Beweise sichern, z.B. Screenshots machen und diese speichern. Auch ist es hilfreich, Zeugen benennen zu können, die etwa gesehen haben, wer was im Netz geschrieben hat, die etwas gesehen oder gehört haben, etc.
Darüber hinaus gibt es auch zivilrechtliche Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen:
Zunächst kann gegen den Plattformbetreiber gem. § 1004 BGB ein Unterlassungsbegehren angestrebt werden. Dieser müsste dann den entsprechenden Inhalt sperren und die (Persönlichkeits-)Rechtsverletzung abstellen. Mit dem NetzDG haben Plattformnutzer nun auch einen direkten Anspruch auf Löschung der betreffenden Inhalte beleidigender oder verleumderischer Natur gegen den Plattformbetreiber sozialer Medien. Dieses Vorgehen, bei dem eine Rechtsverletzung direkt an den Plattformbetreiber gemeldet wird, hat den Vorteil, dass diese Anfragen in der Regel binnen 7 Tagen bearbeitet werden sollen.
Natürlich kann man auch direkt gegen den Mobbenden vorgehen und ihn zivilrechtlich abmahnen. Mobbing ist stets eine Persönlichkeitsrechtsverletzung. Wenn das sogar körperliche Auswirkungen hat, ist es zusätzlich noch eine Verletzung der Gesundheit. Dies kann zu Unterlassungs-, Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen führen. Betroffene Personen können zunächst von Tätern verlangen, dass diese verletzende Inhalte oder Beiträge entfernen. Darüber hinaus kann Tätern auch die die erneute Veröffentlichung verboten werden. Wenn es darum geht, einen rechtsverletzenden Inhalt schnell aus dem Netz zu bekommen, kann man auch im einstweiligen Rechtsschutz vorgehen. Bei körperlichen bzw. psychischen Schäden ist auch ein Anspruch auf Schmerzensgeld möglich.
Ab wann ist man ein Täter? Ab wann Mitläufer?
Das kommt sehr auf die Tat an, außerdem unterscheidet sich hier das Straf- vom Zivilrecht.
Strafrecht:
Manchen Straftaten können nur als Täter begangen werden, indem man selbst die Tathandlung ausführt. Bei der Beleidigung etwa muss man selbst die eigene Missachtung gegenüber einer dritten Person kundtun bzw. irgendwie nach außen tragen, um als Täter zu gelten. Die Weiterverbreitung von Gerüchten oder geheimen Bildern ist hingegen für jeden strafbar, der etwas weiterleitet.
Es gibt auch Straftaten, die man durch Unterlassen verwirklicht. Das aber nur, wenn man ein sog. „Garant“ ist, was in Fällen von Mobbing eher seltener der Fall sein dürfte. Garanten sind etwa Eltern für ihre Kinder oder Personen, die durch ihr Vorverhalten jemand anderen in eine Notlage gebracht haben.
Darüber hinaus kennt das Strafrecht auch die Mittäterschaft, die Anstiftung und die mittelbare Täterschaft – bei diesen Tatbegehungsformen wird man ebenfalls als bzw. wie ein Täter bestraft. Mittäter ist man, wenn man einen gemeinsamen Tatplan hat und jeder Mittäter etwa gleich gewichtige Beiträge zur Tat leistet. Anstifter ist man, wenn man jemand anderen dazu bringt, etwas zu tun, was dieser ansonsten nicht getan hätte. Als mittelbarer Täter agiert man z.B., wenn man jemanden ausnutzt, um eine Tat zu begehen, obwohl derjenige überhaupt nicht weiß, was er da tut bzw.
Schließlich gibt es noch die Beihilfe. Als Gehilfe einer Tat gilt man, wenn jemand anderen bei seiner Tat psychisch (z.B. durch motivierendes Bestärken) oder durch aktive Mithilfe unterstützt. Hier kann grundsätzlich jede Handlung bestraft werden, durch die eine Tat gefördert wurde. Wenn man aber einfach nur daneben steht und nichts tut, um dem Opfer zu helfen, aber auch nichts tut, um den Täter aktiv zu unterstützen, dürfte man in den meisten Fällen straffrei sein. Denn solange man kein Garant ist, besteht in der Regel keine Pflicht zum Eingreifen.
Zivilrecht:
Bei persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerung wie etwa Beleidigungen kommt es darauf an, ob man sich den Kommentar eines Dritten „zu Eigen“ gemacht hat. Dann kann man selbst abgemahnt bzw. verklagt werden. Gerichte haben z.B. das „Liken“ entsprechender Beiträge als Zueigenmachen angesehen, das bloße Teilen eines verletzenden Kommentars aber erst, wenn man es mit einem unterstützenden Kommentar versieht. Anders wäre das bei der Weiterverbreitung von Lügen, Gerüchten oder intimen Aufnahmen zu beurteilen. Hier ist bereits das Teilen rechtsverletzend.
Mit welchen Strafen muss ein Mobber im Erwachsenenalter rechnen? Gibt es Strafen für Schüler?
Strafen für Erwachsene:
- Beleidigung, § 185 StGB à Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr
- Üble Nachrede, § 186 StGB à Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe
- Verleumdung, § 187 StGB à Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, bei öffentlichen bis zu 5 Jahre Gefängnis.
- Körperverletzung, § 223 StGB à Geld- und Freiheitsstrafen bis zu 5 Jahren
- Nötigung, § 240 StGB à Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren
- Erpressung, § 253 StGB à Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren
- Bedrohung, § 241 StGB à Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren
- Nachstellung (Stalking), § 238 StGB à abhängig vom Einzelfall, Geld- und Freiheitsstrafen bis zu 3 Jahren, bei gesundheitlichen Schäden bis zu 5 Jahren, bei Tod bis zu 10 Jahren
- Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 StGB à Geld- / Freiheitsstrafe bis 1 Jahr
- Recht am eigenen Bild, § 33 KunstUrhG / Intime Aufnahmen veröffentlichen, § 201a StGB
- Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren.
Kinder unter 14
Grundsätzlich sind Kinder unter 14 Jahren strafunmündig und damit schuldunfähig (§ 19 StGB). Sie können also grundsätzlich nicht bestraft werden.
Das heißt aber nicht, dass der Fall damit erledigt ist, denn in vielen Fällen werden die Ermittlungsbehörden das Jugendamt informieren. Das Jugendamt nimmt dann Kontakt mit der Familie auf und versucht, gemeinsam mit ihr die Hintergründe der Tat zu beleuchten.
Jugendliche zwischen 14 und 17 (bzw. in Einzelfällen bis 20 Jahre)
Jugendliche von 14 bis 17 Jahren sind gemäß § 3 JGG individuell strafrechtlich verantwortlich, wenn sie zur Zeit der Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug sind, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Manchmal wird außerdem trotz zivilrechtlicher Volljährigkeit (18 Jahre) immer noch das Jugendschutzgesetz auf Menschen von 18 bis 20 angewendet, z.B. wenn im Einzelfall der Täter zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung nach einem Jugendlichen gleichstand oder es sich bei dem Charakter der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.
Zwar gibt es dann grundsätzlich keine eigenen Jugendstraftatbestände. Verurteilt werden die Jugendlichen nach den StGB-Normen. Doch anders als bei Erwachsenen steht bei Jugendlichen nicht die Bestrafung, sondern der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Die Jugendlichen müssen also im Zweifel keine Geldstrafe zahlen oder gar in den Jugendarrest, sondern erhalten häufig Erziehungsmaßregeln oder Auflagen.
Werden auch „Zuschauer“ bestraft?
Wie bereits oben erwähnt, ist das Zuschauen als solches grundsätzlich noch kein Tatbeitrag, der es rechtfertigen würde, jemanden wegen Beihilfe oder gar Mittäterschaft zu belangen. Denn dafür müsste die Person, die zuschaut, Garant für das Opfer sein. Das ist aber bei Kollegen, Klassenkameraden oder anderen typischen Mobbing-Fällen nicht so. Anders wäre das zu beurteilen, wenn man z.B. den Täter anfeuert oder anderweitig in seinem Verhalten bestärkt. So etwas kann als psychische Beihilfe gewertet werden.
Im Einzelfall kommt eine Strafe wegen unterlassener Hilfeleistung in Betracht. Dies wäre z.B. bei Körperverletzungsdelikten der Fall, wenn der Zuschauer nicht eingreift, obwohl er es ohne selbst erhebliche eigene Gefahren befürchten zu müssen, könnte.
Gibt es Statistiken, wie oft Mobbingfälle juristisch erfolgreich verfolgt wurden?
Es sind mir leider keine bekannt.
Was raten Sie Betroffenen?
Betroffene sollten sich in jedem Fall Hilfe suchen und sich – je nach Einzelfall – an die Polizei, einen Anwalt oder – wenn möglich – an eine Vertrauensperson wenden, die möglicherweise zwischen den Parteien schlichten kann. Wichtig ist auf jeden Fall eines: Das Recht lässt Betroffene nicht allein, sondern ist auf ihrer Seite. Es gibt juristisch schnelle Möglichkeiten, rechtsverletzende Inhalte schnell aus dem Netz entfernen zu lassen und sich gegen Angreifer zu wehren.
Christian Solmecke
Christian Solmecke (45) hat sich als Rechtsanwalt und Partner der Kölner Medienrechtskanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE auf die Beratung der Internet und IT-Branche spezialisiert. So hat er in den vergangenen Jahren den Bereich Internetrecht/E-Commerce der Kanzlei stetig ausgebaut und betreut zahlreiche Medienschaffende, Web 2.0 Plattformen und App-Entwickler. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ist Christian Solmecke vielfacher Buchautor und als Geschäftsführer der cloudbasierten Kanzleisoftware Legalvisio.de auch erfolgreicher LegalTech Unternehmer.
Wir danken Herrn Solemcke für seine Zeit und das ausführliche Beantworten unserer Fragen!
[…] 20.5. Interview mit Rechtanwalt Solmecke http://www.bleibdu.de […]